4.8.- 1.9.2023
Der Grenzübertritt von Bolivien nach Curumba in Brasilien war einigermassen schnell erledigt. Erschwerend war sicher, dass wir kein Wort Portugiesisch verstanden und die Zöllner nur Portugiesisch… Dass wir einen Hund mitführten, interessierte keinen und so waren wir froh, nicht drei Tage in Santa Cruz auf die Ausfuhrbewilligung gewartet zu haben.
Wie nach jedem Grenzübertritt standen zuerst Geldwechseln und Sim-Karte besorgen auf dem Programm. Real hatten wir schnell, aber die Sim-Karte war etwas schwieriger. Man braucht eine brasilianische Steuernummer, um sich registrieren zu können. Oder man läuft von Anbieter zu Anbieter, bis man jemand findet, der bereit ist, seine eigene Steuernummer zur Verfügung zu stellen (natürlich gegen Geld). In der Hitze der Mittagsstunden ein mühsames Unterfangen, aber es klappte. Inzwischen hatten wir auch ordentlich Hunger und steuerten ein Restaurant an. Auch hier war die Kommunikation harzig. Schlussendlich verstanden wir: Buffet zum „all you can eat“-Preis oder den Teller auf die Waage stellen. Das Fleisch wurde auf Spiessen vor einer Grillwand zubereitet und nach Wunsch mit grossen Messern direkt auf den Teller geschnitten. Wir assen ausgezeichnet, aber die Rechnung war ein kleiner Schock. Ja, wir waren definitiv nicht mehr in Bolivien! Vielleicht sollten wir wieder mit kochen beginnen?
Filou war die ganze Zeit im Wohnmobil geblieben. Es ging ihm nach der Bissattacke vom Vortag nicht gut. Wir suchten einen Übernachtungsplatz im Hafen am Rio Paraguay und stellten uns, wie andere Overlander vor uns, an die Promenade. Dummerweise zwischen zwei Restaurants, die ihre Gäste von 20:00 – 2:00 Uhr mir Live-Musik unterhielten. Wir wurden von zwei Seiten mit lauter Musik zugedröhnt, und die Musiker rechts sangen dazu auch noch falsch. Viel geschlafen haben wir nicht. Filou begann sich dann am frühen Morgen zu übergeben und sein linkes Hinterbein schwoll immer mehr an. Gut, hatten wir die Sim-Karte kaufen können, denn jetzt ging die Suche nach einem brasilianischen Tierarzt los. Zwei kamen in die engere Auswahl und nach dem Vorbeifahren entschieden wir uns für die zweite Tierklinik. Wir wurden einer spanischsprechenden Tierärztin zugeteilt, welche uns mitteilte, dass das Schmerzmittel, dass der Tierarzt in Bolivien verschrieben hatte, für Menschen gut sei, bei Hunden aber Magengeschwüre verursache, deshalb das Erbrechen und die frischen Blutklümpchen. Die Bisswunden wurden mit einer Schermaschine ausgeschoren und das wahre Ausmass kam zum Vorschein. Die Wunde an der Brust eiterte, die genähte Wunde an der Schulter war wieder offen und das linke Hinterbein war inzwischen dreimal so dick, wie das Rechte. Filou bekam eine Infusion und musste übers Wochenende dableiben. Wir hatten ein langes Wochenende in einer kleinen Stadt vor uns, darum buchten wir, zurück in der Unterstadt am Hafen, eine dreistündige Bootsfahrt auf dem Rio Paraguay in der Hoffnung, ein paar Tiere des Pantanals zu erblicken. Nun, am Sonntag stellte sich heraus, dass wir uns besser hätten erkundigen sollen… Wir waren auf einem Partyschiff gelandet und sollte es Tiere am Ufer gegeben haben, so waren die von der lautstarken Livemusik geflohen, bevor wir auch nur in ihre Nähe kamen. Nichts mit Ruhe und Natur. Aber den lebenslustigen, tanzenden Mitreisenden zuzusehen, war auch ein Vergnügen! Nach drei Stunden kamen wir mit vollen Mägen und klingenden Ohren wieder an Land und suchten uns für die Nacht ein ruhigeres Eck am Hafen.
Am Montag morgen fuhren wir in die Tierklinik und hofften, Filou gesund genug vorzufinden, um ihn mitnehmen zu können. Leider hatte er immer noch nichts gegessen und die Tierärztin meinte, wir sollten ihn nochmals eine Nacht dalassen. Wir konnten ein bisschen mit ihm durchs Quartier spazieren, dann wurde er wieder in seine Kiste gesteckt.
Am nächsten Tag teilte uns die Tierärztin mit, die Wunde am Bein sei nekrotisch. Wir könnten Filou entweder mitnehmen und alle notwendigen Medis in der Apotheke holen gehen, oder ihn nochmals eine Nacht in ihrer Obhut lassen. Da er in seiner Kiste die ganze Zeit an seiner Wunde herumleckte und das Personal ihn einfach machen liess, entschieden wir uns fürs Mitnehmen. Wir kauften ihm noch einen grösseren Halskragen, damit er nicht mehr an seine Wunden kam und verliessen am nächsten Tag Corumba in Richtung Südpantanal und Bonito.
Kurz hinter Corumba bogen wir von der Hauptstrasse auf eine Dammpiste ab und befanden uns auf der Estrada Parquedo Pantanal. Das Pantanal ist das grösste zusammenhängende Feuchtgebiet der Erde und liegt im Dreiländereck Bolivien-Brasilien-Paraguay. Es ist das Gebiet mit der grössten Pflanzen- und Tierdichte in Südamerika. Zur Regenzeit im Südsommer sind selbst die Dammpisten unpassierbar, dann kommt man nur per Boot herum. Jetzt, in der winterlichen (30°C) Trockenzeit ist schon viel Wasser verdunstet, die Tiere versammeln sich an den kleiner werdenden Wasserstellen und sind für uns gut sichtbar. Vor allem Kaimane lagen faul am Ufer kleiner Seen und Flüsschen und unter Holzbrücken. Im Sumpf standen Reiher, Rosalöffler, Ibisse und Störche und Eisvögel hielten von Büschen und Brückengeländer Ausschau nach Fischen im See. Schmetterlinge sammelten sich an feuchten Stellen auf der Piste und flatterten zu hunderten auf, als wir uns näherten. Es waren nur wenige andere Fahrzeuge unterwegs und wir hatten die Strasse, die Tiere und die Pflanzen beinahe für uns allein.
Wenn wir uns nur nicht solche Sorgen um Filou gemacht hätten. Die Wunde am Bein glich einem Krater, der immer grösser, anstatt kleiner zu werden schien. Seine Füsse schienen auch dicker als normal zu sein. Ob er wohl eine Blutvergiftung bekommen würde? Oder war er mit zwei Antibiotika, einem Entzündungshemmer, einem Magenschoner und einer Tablette gegen Übelkeit gut abgedeckt? Sollte das abgestorbene Gewebe bei einer Nekrose nicht entfernt werden? Uns war nicht wohl bei der Sache und so fuhren wir nach der dem Ende der Dammstrasse in die Grossstadt Campo Grande, erneut auf der Suche nach einem Tierarzt. Wie trifft man eine Wahl, wenn man eine List von 100 Veterinären hat? An einigen fuhr Felix vorbei und ich schüttelte den Kopf. Nach einer neuerlichen Beratung trafen wir eine Wahl und landeten einen Volltreffer. Alle Mitarbeiter bemühten sich um Filou und uns und der uns zugeteilte Tierarzt unterhielt sich mit uns via Google-Translate. Er untersuchte Filous Wunden und schnitt das abgestorbene Gewebe weg. Die Medikamente, die wir ihm gaben, seien gut, wir sollten so weitermachen. Dazu die Wunden täglich zweimal reinigen und eincremen. Er versicherte uns, dass auch der Krater am Hinterbein wieder zuwachsen würde und dass alles gut komme. Aber Filou dürfe auf keinen Fall mehr an seinen Wunden lecken, was wir ja zu verhindern versuchten. Zur Sicherheit kauften wir noch einen grösseren Trichter-Kragen und zogen erleichtert von dannen. Jetzt waren wir bereit, weiter zu reisen! Wir fuhren die 240 Km zurück nach Jardim und besuchten als erstes Buraco das Araras, eine 130 Meter tiefe Doline mit einem Umfang von 500 Metern. Unten gibt es einen grünalgigen See, in dem ein Kaiman lebt. Ursprünglich waren es ein Pärchen, das, mangels anderer Nahrung, den eigenen Nachwuchs nach und nach verspeiste. Heute lebt nur noch einer dort unten am See. Er ernährt sich von unvorsichtigen Vögeln. Aber wir waren nicht wegen dem Kaiman hierhergekommen, sondern wegen der blau-gelben Aras, die in den Dolinenwänden nisten und laut kreischend pärchenweise ihre Runden drehten. Ein wunderschöner Anblick!
Den Nachmittag verbrachte ich schnorchelnd im glasklaren Rio Olho D’Agua und dem Rio da Prata mit 50 verschiedenen Fischarten, während Felix lieber etwas Arbeitete und den Nachmittag verschlief. Es war schon dunkel, als wir in Bonito eintrafen, DEM Touristenort des Südpantanals. Wir stellten uns für die Nacht an den Stadtpark, den Filou auf seinen Spaziergängen gerade mal so umrunden konnte. Am nächsten Tag begaben wir uns auf die Farm von Marc, der Overlandern einen wunderschönen Platz zum Campieren anbietet. Das Kaskaden-Flüsschen, dass sein Land durchquert, ist glasklar und bietet eine herrliche Abkühlung an heissen Tagen. Über die Kuhweide spazierte ein Ameisenbär und machte sich an Termiten- und Ameisenhaufen zu schaffen. Gehör und Augen der Tiere sind nicht sonderlich gut ausgebildet, so kann man sich ihnen, gegen den Wind, unbemerkt nähern und ihnen bei der Nahrungssuche zuschauen. In den Bäumen sitzen Tukane und Aras fliegen vorüber. Ein Paradies, das wir aber schon bald wieder verlassen mussten, um nach Corumbá zurückzukehren.
Wir hatten nämlich eine Reservation auf einem Lastkahn, der uns über den Rio Paraguai und Rio Cuiaba nach Porto Jofre schippern würde. Unser Wohnmobil wurde von Felix über schmale, dicke Holzplanken auf einen Ponton gefahren, welcher dann noch mit Bagger, Pickup, neuem Traktorenreifen, Lebensmittel, Säcken mit Mineralien für Kühe und Düngemittel, Baumaterialien, Eis in Styroporboxen und Fahrrädern für eine Missionsschule beladen wurde, bevor wir abends lostuckerten. Der Ponton wurde von einem Schiff geschoben, der Laura Vicuna, auf dem etwa 40 Passagiere ihre Hängematten aufhängten. Die Fahrt würde mindestens 60 Stunden dauern und das Essen war inklusive. Zum Frühstück gab es ein Brötchen mit salziger Margarine und einen süssen, wässrigen Kaffee. Das Mittag- und Abendessen bestand hauptsächlich aus Reis, Bohnen, Spaghetti mit Hackfleisch und Kartoffeln. 🙂 Bei einem Zwischenstopp kaufte der Koch fangfrischen Fisch, welchen wir zu Mittag aufgetischt bekamen. Wir verbrachten die Stunden im Schatten auf unserem Ponton mit Blick auf Urwald und Kaimane, Riesenotter und Wasservögel. Viel mehr, als zu schauen, gab es nicht zu tun. Das Entladen der Waren an den einzelnen Haltestellen war interessant und als der Traktor und die Egge entladen wurden, hatten wir auch viel mehr Platz, um uns zu bewegen. Die letzte Nacht verbrachten wir angebunden am Flussufer bei ein paar Häusern, wo am Morgen der Grossteil der Passagiere und der Waren ausgeladen wurden. Wir tuckerten weiter den kurvigen Fluss hinauf. Nach jeder Kurve mussten wir unsere Campingstühle umplatzieren, weil es an der Sonne viel zu heiss war. Irgendwann hatte ich genug und setzte mich zum Ventilator ins Wohnmobil. Filou blieb mit Felix draussen. Plötzlich fragte mich Felix, ob der Hund bei mir sei. Nein! Dann ging die Suche los. Unter dem Womo, unter Blachen, hinter Gittern oder dem Traktorreifen? Nichts. Auf dem Schiff? Nichts. Die Crew half beim Suchen, aber Filou war weg. Und wir wussten nicht mal genau seit wann. Er musste in den Fluss gefallen sein! Ein Crewmitglied startete das Beiboot und fuhr flussabwärts, um die Ufer nach dem Hund abzusuchen. Nach einer halben Stunde kam er mit leeren Händen zurück. Filou war verschollen und man machte uns kaum Hoffnung, dass er überlebt haben könnte. Schliesslich wimmelte es im Fluss von Kaimanen. Felix und ich waren am Boden zerstört und unser Kummer wurde durch das schlechte Gewissen noch verstärkt. Wir hatten nicht auf ihn aufgepasst. Er durfte überall herumstreunen, und sein Lieblingsplatz war ganz vorne am Ponton, wo ihm der Fahrtwind etwas Kühlung verschaffte. Ohne Geländer, 50 cm über dem Wasser. Manchmal spazierte er auch aussen an den Kuhgattern (manchmal werden Kühe Flussabwärts transportiert) auf einem 30 cm breitem Bördchen herum. Wir wissen nicht, wo er hineinfiel, aber er hätte angeleint sein sollen…
In Porto Jofre gingen wir an Land und anstatt eine Jaguartour für den nächsten Tag zu buchen, organisierten wir ein Motorboot und einen Fahrer, der uns bei der Suche nach Filou helfen würde. Ja, der Urwald barg auch Gefahren für so einen kleinen Hund: Anakondas und Jaguare! Sollte er es wirklich an den Kaimanen vorbei an Land geschafft haben. Alle Leute schüttelten den Kopf, nein, der Hund sei bestimmt schon tot. Aber wir brauchten diese Suchaktion, so sinnlos sie auch erschien. Um 5:00 Uhr in der Früh trafen wir unseren Bootsführer. Wir hatten ihn für drei Stunden gebucht und er fuhr mit uns den Fluss ab. Immer wieder hielt er an, um mit Fischern, die am Ufer wohnten, zu sprechen. Keiner hatte Filou gefunden. Mit trauriger Gewissheit fuhren wir wieder flussaufwärts, suchten mit den Augen die Ufer ab. Nichts. Niedergeschlagen erreichten wir Porto Jofre und entschlossen uns schweren Herzens, gleich weiterzufahren. Ich wollte nicht mehr länger am Rio Cuiaba sein.
Porto Jofre liegt am Ende der Transpantaneira, jener 145 Km langen Dammpiste mit 122 Brückenkonstruktionen. Manche der Holzbrücken sind alt und wackelig aussehend, andere sind frisch geflickt, wieder andere wurden durch Betonbrücken ersetzt, was den Charm der Strecke nicht bekömmlich ist. Aber verständlich, stehen doch die alten Brücken auf Holzpfeilern im Wasser und faulen laufend vor sich hin.
Je weiter wir von Porte Jofre wegkamen, desto kleiner wurden die Tümpel und die Anzahl der drum herumliegenden Kaimane nahm zu. In einigen der austrocknenden Seen hatte es so viele zappelnde Fische, dass es aussah, als würde das Wasser kochen. Dazwischen tummelten sich so viele verschiedene Vogelarten, wie wir noch nie gesehen hatten. Wir nahmen das alles wahr, konnten uns aber nicht darüber freuen. Ich weinte ohne Unterbruch und Felix versuchte mich zu trösten. Nach 4,5 Stunden passierten wir das Tor, den offiziellen Startpunkt der Transpantaneira. Still fuhren wir weiter in Richtung Poconé, als uns ein entgegenkommender Autofahrer anblinkte und zum Anhalten brachte. Wir kurbelten das Fenster runter und der Mann brabbelte etwas Unverständliches auf portugiesisch. Weil wir etwas begriffsstutzig waren, nahm er sein Handy hervor und zeigte uns ein Bild. Filou! Er war gefunden worden! Wir sollten sofort umdrehen, er befinde sich in der Obhut unseres Bootführers vom Morgen. Wir stellten fest, dass man die Dammpiste auch in drei Stunden bewältigen kann. Und tatsächlich, Filou rannte uns entgegen und war mindestens so froh uns wieder zu haben, wie wir ihn! Biru erzählte uns, ein Fischer habe ihn laut schreiend am Fluss unterhalb eines Steilufers gefunden und weil es sich herumgesprochen hatte, wusste er auch, wo er den Hund hinbringen musste. Was für ein Glück! Filou war durch den Kaimanen-Fluss geschwommen, hatte das Gewitter in der Nacht und alle Gefahren im Dschungel überlebt und war zwar heiser und voller stacheliger Kletten, aber sonst gesund und munter. Wir blieben noch eine Nacht in Porto Jofre und fuhren am nächsten Morgen die Transpantaneira zum dritten Mal, diesmal mit offenen und interessierten Augen.
Eigentlich hätten wir in Cuiaba übernachten wollen, aber die Stadt war uns eine Spur zu gross und wir fanden keinen einzigen Parkplatz und keinen Park, wo wir uns hätten hinstellen können. So gondelten wir weiter und fanden in der Kleinstadt Chapada dos Guimaraes einen ruhigen Stadtpark zum Übernachten. Hier konnten wir am nächsten Morgen unserer Lebensmittelvorräte und Trinkwasser auffüllen. Das Städtchen liegt am Rande des gleichnamigen Nationalparks, welcher sich auf der Abbruchkante über dem Pantanalbecken befindet und mit seinen bizarr geformten Felsen eine der ältesten Gesteinsformationen Brasiliens ist. Hier lässt sich herrlich wandern, zu vielen Wasserfällen, zu Höhlen oder zu Felsmalereien. Wir machten uns frohgemutes auf den Weg zum Brautschleier-Wasserfall „Veu de Noiva (den gibt es wohl überall auf der Welt). Viel Wasser floss nicht über die Abbruchkante und der Schleier war etwas spärlich. Fünf Kilometer weiter wären noch einige weitere Wasserfälle zu besichtigen gewesen, uns hatte der Fussmarsch hierher aber schon gereicht. Die Hitze war unerträglich und wir beschlossen, den Rest der Sehenswürdigkeiten aussen vorzulassen und weiter zu fahren. Die Mittagspause verbrachten wir aber noch ganz in der Nähe, am Mittelpunkt Südamerikas. Fragt mich nicht, wie der berechnet wurde…
Unser nächstes Ziel war die Hauptstadt Brasiliens, Brasilia, schlappe 1’150 Km entfernt. Zuerst fuhren wir durch flaches Ackerland. Die Baumwollernte war in vollem Gang und riesige Erntemaschinen fuhren über riesige Felder. Grosse, in Plastik gewickelte Rundballen geerntete Baumwolle standen reihenweise zum Abholen bereit. Auch die endlosen Maisfelder waren schon abgeerntet. Später erfuhren wir, dass Brasilen der weltweit grösste Anbauer von Mais ist und drei Mal im Jahr geerntet werden kann! Diese Schätze mussten natürlich abtransportiert werden und das geschah mit Lastwagen. Die Überlandstrassen waren voll von LKWs, die gewagte Überholmanöver tätigten, laaaaangsam bergauf fuhren und in einem Höllentempo auf der anderen Seite hinunterdonnerten. Und wir über Tage mittendrin.
Sobald die Landschaft etwas hügelig wurde, war es vorbei mit dem Ackerbau und wir fuhren durch riesige Weiden mit Rindern und Pferden. Wurde es wieder flach, sahen wir auch Weizenfelder und Zuckerrohrpaltagen. Dazwischen hielten wir immer wieder in sehenswerten Städtchen an, vertraten uns bei der Besichtigung die Beine oder übernachteten an Plätzen oder Tankstellen. Sehr gut gefallen haben uns die Städte Goias und Pirenopolis wegen ihren schön restaurierten Kolonialbauten.
Brasilia war dann ein ganz anderes Format! Die Landstrasse hatte sich urplötzlich in eine Looping-schlagende, mehrspurige Autobahn verwandelt und am Horizont tauchten Wolkenkratzer auf, welche sich aber nicht als zur Hauptstadt gehörend erwiesen. Vielleicht wohnen da alle? Denn bei der Einfahrt nach Brasilia fehlten die Vororte und Wohnsilos vollständig, aber irgendwo mussten die Leute ja leben? In den paar Tagen, die wir mitten in der Stadt verbrachten, entdeckten wir keine Wohnungen oder Lebensmittelgeschäfte. Shoppingcenter, Hotels, ein paar Restaurants und unzählige Regierungsgebäude, ja, Wohnraum, nein. Dafür aber einen riesigen Spielplatz, einen Vergnügungspark und zu unserem Leidwesen gleich hinter dem Fernsehturm ein Konzertgelände. Schlaftechnisch ungünstig am Wochenende!
Nun, wir liessen uns am Freitagnachmittag unterhalb des Fernsehturms auf einem beinahe leeren Parkplatz nieder. Nebenan plätscherte der grosse Springbrunnen (in dem Obdachlose ihre Kleider und sich selber wuschen), rechts und links liegen die Hotelzonen und Einkaufstempel. Vor uns erstreckten sich die symmetrisch angeordneten, geschwungenen Strassen, die sich den leicht abfallenden Hang hinunterführen und dabei in der Mitte einen langgezogenen Park freilassen. Der riesige Busbahnhof steht im rechten Winkel zur Mittelachse und nimmt beinahe die ganze Breite des Parks ein. Danach folgt rechts die Biblioteca National und der weisse Kuppelbau des Museo Nacional. Unsere Blicke zog die wie eine Krone wirkende Catedral Metropolitana aus Beton und Glas auf sich. Über eine lange, abwärtsführende Rampe gelangt man ins Innere des Bauwerks welches Lichtdurchflutet und wunderschön ist.
Nun beginnen rechts und links der Mittelachse die Ministerien. Jedes Ministerium ist in einem eigenen, mehrstöckigen Gebäude untergebracht, welche alle gleich aussehen.
Zum Schluss folgen der Congresso Nacional, das Aussenministerium, das Bundesgerichtshof, der Regierungspalast, der Justzpalast und die Praca dos Tres Poderes, der Platz der drei Gewalten.
Alle öffentlichen Gebäude wurden von Oscar Niemeyer zwischen 1956 und 1960 entworfen und gelten als sein Lebenswerk. Die doch schon 60 Jahre alten Gebäude wirken immer noch modern. Ausser den Ministerien gefielen sie uns ausserordentlich gut. Wie „leicht“ Beton doch wirken kann!
Die Stadt wurde nicht für Fussgänger gebaut, alle sollten mit dem Auto fahren. Inzwischen gibt es Fuss- und Fahrradwege, die aber zum Teil plötzlich enden. Auch die Fussgängerstreifen über die sechsspurigen Strassen liegen weit auseinander. Vom Fersehturm bis zur Praca Dos Tres Poderes liefen wir 5 Kilometer weit und das Ganze dann auch wieder zurück. Restaurants oder Kaffees findet man nicht, auch kaum Bänkchen, um sich auszuruhen und schon gar keinen Schatten. Und das bei über 30°C!
Ach, und für alle, die mich näher kennen: Die Retortenstadt Brasila wurde am 21. April 1964 feierlich eingeweiht 🙂
Wenn man das Regierungsviertel ab und wieder rauf marschiert ist, hat man das Wichtigste der Stadt gesehen…, fanden wir und verliessen sie am Sonntagmorgen. Leider mussten wir uns mit nur drei der sechs Autospuren stadtauswärts begnügen, die anderen drei sind am Sonntag den Joggern und Fahrradfahrern vorbehalten. Jetzt fuhren wir auch durch Wohnzonen (meist Condominios) und vorbei an Supermercados, die selbstverständlich sonntags geöffnet waren. Nach 45 Minuten hatten wir die Hauptstadt hinter uns gelassen und befanden uns erneut mitten in Landwirtschaftsland.
Unser nächstes Ziel war Salvador de Bahia, schlappe 1’500 Km entfernt am Atlantik. Wir brauchten dafür 4 Tage. Die Fahrstrecke legen wir jeweils so fest, dass wir im Reiseführer vermerkte Sehenswürdigkeiten anfahren können, sei es zum Übernachten oder um sich die Beine zu vertreten. Brasilien ist riesig, aber der Aufenthalt ist auf 3 Monate pro Halbjahr beschränkt. Es ist schlicht unmöglich, alles Tolle zu sehen, aber ein paar Kleinode konnten wir unterwegs „reinziehen“.
Endlich waren wir wieder am Meer! Einen Übernachtungsplatz am Strand zu finden war aber gar nicht so einfach. Die Strände sind zwar öffentlich, das Land dahinter aber nicht. So sind viele Zufahrtsstrassen mit Toren und Wachpersonal versehen, an denen wir nicht vorbeikamen. Kurz vor Sonnenuntergang wurden wir fündig, parkten, eilten an den Strand und freuten uns über die Wärme des Wassers. So muss Meer sein! Filou freute sich genau so, er raste hin und her und jagte Kokosnüsse über den Strand.
Am nächsten Morgen fuhren wir noch ein wenig nordwärts der Estrada de Coco entlang nach Praia do Forte, einem hippen Touristenort, den uns Felix Cousin empfohlen hatten. Wir fanden mitten im Städtchen einen bewachten Parkplatz, wo wir auch übernachten durften. Unser erster Spaziergang durchs Zentrum war ein Reinfall. Wir waren früh unterwegs, und alle Restaurants und Geschäfte waren noch geschlossen, kein Mensch weit und breit. So brachten wir erst unsere Wäsche in die Wäscherei, zogen dann an den Strand, mieteten zwei Campingstühle unter einem Sonnenschirm und gingen baden. Nachmittags und abends war in den Gassen viel los und die Restaurants lockten mit Tischen unter freiem Himmel. Es fühlte sich wie Urlaub an!
Nun gings nach Salvador de Bahia, der Hauptstadt des Bundesstaates Bahia. Die Estrada do Coco verwandelte sich bald in eine mehrspurige Autobahn mit vielen Ausfahrten. Der Verkehr war horrend, das Gewirr überwältigend. Dazwischen wurden wir rechts und links von Motorradfahrern überholt, die sich durch jede Lücke zwängten. Plötzlich kollidierten zwei Motorräder, einer ging zu Boden und schlitterte vor uns über die Fahrbahn. Wir und der Krankenwagen auf der Nebenspur machten eine Vollbremse. Was für ein Wunder, dass es dadurch nicht auch noch zu einem Auffahrunfall gekommen ist! Der Motorradfahrer setzte sich auf und starrte seine Handflächen an… Der Unfallverursacher war schon über alle Berge! Die Fahrer des Krankenwagens kümmerten sich um den Verunfallten, wir fuhren weiter.
Endlich erreichten wie die Innenstadt mit schmaleren Strassen und weniger Verkehr. Unser Ziel war die Oberstadt, wo wir bei einem der vielen Forts (Forta da Capoeira) übernachten wollten. Unter Aufsicht der Polizei stellten wir uns auf einen Parkplatz am Park und marschierten gleich los. Das sehenswerteste von Salvador ist die zum Weltkulturerbe der UNESCO gehörende Cidade Alta, der Stadtteil Pelourinho, mit den vielen Kolonialbauten. Hier wohnten bis ca. 1930 Familien der Mittel- und Oberschicht. Als diese ihre Wohnsitze an die Strandzonen verlegten, begann das Viertel zu verfallen. Die herrschaftlichen Häuser wurden zu Mietskasernen umfunktioniert und dienten fortan den Ärmsten als zuhause. Pelourinho verwandelte sich in ein Ghetto armer, schwarzer Familien. Prostitution und Drogenkriminalität bestimmten den Alltag. Als das Stadtviertel 1985 zum Weltkulturerbe erklärt wurde, trat die Wende ein. Von 1992 – 1995 wurden beinahe 800 Gebäude und 20 Strassenzüge saniert und die Arbeit ist noch nicht abgeschlossen.
Wir spazierten über Kopfsteinpflaster durch die Gassen, alle paar Meter an einer anderen Barockkirche vorbei. Neben buntbemalten Häusern stehen immer noch Bruchbuden mit löchrigen Dächern und fehlenden Fensterscheiben, aber gerade dieses Gemisch macht den ganz besonderen Charme des Viertels aus. Auf Plätzen unterhielten Trommlergruppen die Touristen, vor der Kathedrale liessen sich dunkelhäutige Damen in Reifröcken gegen ein paar Real ablichten. Auf den ersten Blick mag das alles wie Disneyland wirken, aber in den Seitengassen findet das echte Leben statt. Hier leben immer noch grösstenteils dunkelhäutige Familien. Kinder hüpfen auf dem Heimweg von der Schule über Treppen und Hauseingänge und vor den Fenstern der oberen Stockwerke flattert die Wäsche zum Trocknen im Wind. Oder eben nicht im Wind. Es war so heiss, dass ich Filou über die heissen Pflastersteine tragen musste. Nur im Schatten grosser Gebäude verbrannte er sich nicht die Pfoten. Das Bad im Brunnen war zwar von mir gut gemeint, gefiel ihm aber gar nicht. Vielleicht sind Erinnerungen hochgekommen…
Um in die Unterstadt zu gelangen, gibt es drei Aufzüge. Leider sind Hunde nur in Taschen zugelassen, so blieb uns nichts anderes übrig, als zum Womo zurück zu spazieren und ihn dort zu lassen. Er war froh.
Anstatt einen Lift oder die Standseilbahn in die Cidade Baixa zu nehmen, liefen wir die Strasse der Polsterer hinunter. Wirklich in jedem Geschäft rechts und links wurde Polstermaterial in verschiedener Dicke und Stoffe zum Kauf angeboten. Hm, unsere Polster im Womo sind auch schon recht durchgesessen und müssten mal ersetzt werden. Aber das machen wir wohl besser dort, wo wir die Sprache verstehen!
Viel Schönes gibt es in der Unterstadt nicht. Alles wirkt schäbig, die letzten Kolonialbauten werden dem Verfall überlassen, man kümmert sich nur um den Erhalt der Kirchen. Wir möchten den Mercado Modelo besuchen, den Souveniermarkt am alten Hafen. Leider wird der gerade umgebaut und die Verkaufsstände sind in einem Zelt untergebracht. Aber ganz ehrlich, uns interessierten auch keine Souveniers made in China… So blickten wir ein wenig aufs Meer oder den Leuten hinterher und wandten uns dann dem Aufzug in die Oberstadt zu. Innert kürzerster Zeit ist man 70 Meter weiter oben und blickt hinunter auf die Markthalle, den Kontainerhafen und die Baia de Todos os Santos. Wir entschlossen uns, am nächsten Tag die Fähre durch die Bucht hinüber zur Insel Itaparica zu nehmen und unseren müden Füssen einen Sand- und Meerwasserurlaub zu gönnen. Wir sind einfach keine Grossstadtmenschen. Reinfahren unbedingt, sich umschauen, lecker Essen gehen und gut ist.
Von den endlosen Kokospalmenstränden erzählen wir euch das nächste Mal.