20.10.-8.12.2024
Wir waren in Aracaju auf Meer gestossen, an einem Sonntag. Ganz Brasilien schien sich auf den Weg zum Strand gemacht zu haben, des Brasilianers Wochenendvergnügen. Am Strand reihten sich Restaurants an Beachclubs, mal chic, mal einfach und die Tische unter den Sonnenschirmen waren schon gut besetzt. Die Hotels und Ferienwohnungen lagen auf der anderen Seite der Strasse und die wenigsten hatten Meersicht. Wir fuhren vorbei, bis wir zum Camping Praia Grande kamen. Auch der war gut besucht, kleine und grössere Womos standen kreuz und quer, dazwischen standen die Autos der Tagesgäste, welche es sich unter den Holz-Sonnenschirmen gemütlich gemacht hatten. Aus ihren Kühlboxen zauberten sie ein Bier ums andere und innert kürzester Zeit war der Haufen mit leeren Flaschen unter den Tischen beachtlich angewachsen. Bier, schwimmen, Bier, Bier, Bier, schwimmen. So ging es den ganzen Nachmittag. Dann, als die Sonne unterging, stiegen die Tagesgäste in ihre Autos und brausten davon. Als ob sie nicht den ganzen Nachmittag an Bierflaschen genuckelt hätten. Wir blieben. Die Infrastruktur war zwar bescheiden, aber die WCs und die Dusche waren ok. Und das Meer gleich vor der Haustüre zu haben, machte vieles wett. An den folgenden Wochentagen war kaum was los in den Strandkneipen rechts und links von uns und der 22Km lange Palmenstrand war wenig besucht und lud zu langen Spaziergängen ein. Wir genossen das warme Meer, die Sonne und den Wind. Den Ventilator konnten wir wieder verstauen, der Wind machte die 34°C erträglich.
Irgendwann war’s an der Zeit, weiter zu rollen. Wenn immer möglich, folgten wir der Küste. Manchmal standen wir für die Nacht frei am Strand, dann wieder genossen wir die Annehmlichkeiten eines Campingplatzes. So verbrachten wir wieder ein Wochenende auf einem Campingplatz. Unsere brasilianischen Nachbarn waren immer sehr nett und fragten uns über unsere Reise aus. Auf Portugiesisch. Die meisten Brasilianer sprechen kein Englisch, verstehen aber Spanisch, so konnten wir uns doch etwas verständigen. Mittags machten wir lange Spaziergänge dem Strand entlang ins nächste Dorf, wo wir uns in einer der Strandkneipen an Fisch- oder Crevettengerichten vollfrassen und uns ein grosses Bier teilten. Das Leben meint es gut mit uns!
Hinter der Palmenküste wurde viel Zuckerrohr angepflanzt. Da die Pflanzen das ganze Jahr über wachsen, konnten wir alle Stadien des Wachstums gleichzeitig sehen. Vom frisch spriessenden zarten Grün, das zum Teil von Hand gedüngt wurde, über die stattlichen 2,5 Meter hohen Pflanzen bis hin zum Abbrennen und vom von Hand bodeneben Abschneiden. Die aufgehäuften Zuckerrohrstengel wurden dann per Traktor auf riesige Anhänger geladen und abtransportiert. Dann wurde der Acker bewässert und schon sprossen die nächsten Blätter aus dem Boden. Eine Zuckerrohrpflanze muss erst nach ca. acht Jahren ersetzt werden. Der meiste Zuckerrohr wird übrigens zu Ethanol verarbeitet.
Unser Reiseführer pries die kleinen kolonialen Städtchen als sehr sehenswert an und verglich sie mit Ouro Preto und Salvador, die wir im letzten Jahr im Süden besucht hatten. Wir waren etwas enttäuscht, mussten uns aber immer wieder in Erinnerung rufen, dass wir uns hier in einem der ärmsten Gebieten Brasiliens befanden. Da ist wenig Geld für die Instandhaltung alter Gebäude vorhanden.
An der Grossstadt Maceió fuhren wir vorbei, aber Recife wollten wir uns ansehen. Als Teenager hatte ich einen Bericht über Strassenkinder in Recife gelesen und ich hielt die Stadt für ein NO-GO, aber unsere Reiseführer priesen sie als sehr sehenswert und schön an. Also fuhren wir rein. Wir wussten auch schon, wo wir übernachten wollten und fuhren den Parkplatz direkt an. Er war voll und so stellten wir unser Womo etwas weiter an den Strassenrand und gingen auf Besichtigungstour.
Die Altstadt war nett, schöne alte Gebäude und ein nettes Ambiente. Dann nahmen wir eine der vielen Brücken über das verzweigte Delta des Rio Capibaribe und tauchten in Armut ein. Mir schienen die Kinder aus dem gelesenen Bericht erwachsen geworden zu sein und immer noch auf der Strasse zu leben und an Leimtuben zu schnüffeln. In manchen Strassen fühlte ich mich unwohl, Felix kennt da aber keine Bedenken und so erreichten wir die Einkaufsstrassen. Total fasziniert hat mich jene mit den Deko-Stoffgeschäften! Eines am anderen mit den wundervollsten Stoffen. In der Parallelstrasse dann die Kleiderstoffgeschäfte, wieder 20 am Stück. Oh, hätte es doch sowas in Zürich! Inzwischen waren wir kurz vor dem Verdursten und weit und breit war kein Restaurant in Sicht. Falsches Quartier dafür! Aber Kokoswasser wurde an Ständen verkauft und brachte uns Erfrischung. Nach der Besichtigung von bestimmt 15 Kirchen spazierten wir wieder in die Altstadt zurück. Der „bewachte“ Parkplatz hatte sich geleert und wir konnten Emma umparkieren. Abends besuchten wir eines der vielen Restaurants und kamen in den Genuss von Livemusik. Die Studenten der benachbarten Ballettschule tanzten nach dem Unterricht auf der Strasse weiter und Jung und Alt setzte sich auf die Parkbänke und lauschte der Musik.
Nach einem Spaziergang über die Praça Marco Zero (Km 0) kehrten wir zum Wohnmobil zurück und verbrachten eine ruhige Nacht mitten in der Stadt.
Am nächsten Morgen brachen wir früh nach Olinda auf, das nur wenige Kilometer nördlich von Recife liegt. Wir wollten vor dem Touristenstrom dort sein, um noch einen Parkplatz zu ergattern. Zudem sind wir immer früh wach, wird es doch schon um 4 Uhr in der Früh hell! Einen Parkplatz zu finden war kein Problem, aber dafür war alles noch geschlossen. Keine Kunsthandwerkstände, keine Cafes und keine Geschäfte waren offen. Zu Beginn wanderten wir fast durch eine Geisterstadt. Aber eine sehr schöne Stadt, wie der Name schon sagt: Olinda. Die bunten Kolonialgebäude, die Kopfsteinpflasterstrassen, die Kirchen, der Blick über die Dächer aufs Meer und die Hochhäuser von Recife, einfach nur schön! Anscheinend feiert man hier das originalste Karneval von ganz Brasilien und aus einigen Schaufenstern lachten uns Masken und Tierfratzen an. Ein Künstler lockte uns in seinen Verkaufsraum und war erfolgreich! 🙂 Er malt ausschliesslich Karnevalsfiguren aus Olinda. Nun, zwei seiner Bilder werden vielleicht in unserer künftigen Wohnung an einer Wand hängen. Oder auch nicht 😉
Bei der Weiterfahrt passierten wie viel überbautes Gebiet. Die Strände sind trotzdem toll, aber die Einsamkeit sucht man vergebens. Oft mussten wir die Küste verlassen, da Fähren über die Flussmündungen nur für Fussgänger oder Kleinwagen gedacht waren und Brücken eine Seltenheit sind. Aber die Ilha de Itamaraca war für uns erreichbar! Wir steuerten zuerst die Kirche Vila Velha aus dem 18.Jh. an, welche in einem kleinen Dorf über dem Meer steht. Wir haben uns immer noch nicht an die Blicke der Einheimischen gewöhnt, die selten ein Wohnmobil zu Gesicht bekommen. So fuhren wir nach der Besichtigung der Kirche weiter und hofften, am Strand einen Übernachtungsplatz zu finden. Der erste Versuch endete bei einem tiefhängenden Stromkabel mitten in einem Abfall-Dorf etwa einen Kilometer vom Meer entfernt. Beim zweiten Versuch erreichten wir das Forte Orange, so genannt, weil es 1631 von den Holländern erbaut wurde. Da das Fort jährlich von ca. 70’000 Besuchern heimgesucht wird, gibt es daneben auch einen entsprechend grossen Parkplatz. Als die Tagesgäste gegangen waren, kehrte Ruhe ein, nur etwas Musik drang vom All Inclusive Hotel zu uns herüber. Bei Flut steht eine Ecke des Forts im Wasser und auch der übrige Strand der Insel ist dann beinahe inexistent, so verliessen wir die Insel am nächsten Tag etwas enttäuscht wieder.
Die nächste Entscheidung stand an: Sollen wir in die Grossstadt João Pessoa hineinfahren, oder doch lieber umfahren? Der Reiseführer beschrieb die Altstadt als sehr schön und am schönsten Platz der Stadt würde am Samstag Nachmittag zu Livemusik traditionelle Tänze getanzt und an den aufgestellten Tischen Essen serviert. Mich interessierte das sehr. Die Tänze, nicht das Essen und da gerade Samstag war, beschlossen wir, hineinzufahren. Neben einer alten Kirche fanden wir einen Parkplatz und liessen Emma stehen. Wir spazierten eine Stunde durch die fast Menschenleere Innenstadt, assen im einzigen Restaurant an einem künstlich angelegten See zu Mittag und machten uns dann auf den Weg zu jenem Platz. Weit und breit keine Touristen, nur ein paar verwahrloste Männer, die uns aber in Ruhe liessen. Am „schönsten“ Platz angekommen starrten wir auf einen heruntergekommenen Platz mit von Vögel verschissenen Bänken und herumliegendem Müll. Ich konnte mir bei aller Fantasie nicht vorstellen, das diese Praça mal die schönste der Stadt gewesen sein sollte! Tanzende Quartiebewohner? Fehlanzeige. So liefen wir mit vielen Fragen zurück zum Womo. Bei einem kleinen Umweg zu einem Azulejo-Haus hielt ein Polizeiauto neben uns und wir wurden freundlich darauf hingewiesen, dass wir uns hier in einem sehr unsicheren Stadtteil befanden und uns schleunigst aus dem Staub machen sollten. Und vor allem sollten wir unsere Handys wegstecken! Nach einem letzten Foto des schönen Hauses machten wir das und liefen etwas schneller zum Womo zurück. Eigentlich hatten wir hier neben der Kirche übernachten wollen, entschieden uns dann aber anders. Better safe than sorry! So kurvten wir den Hügel hinunter zu den Hochhäusern am Meer und tauchten ein in eine Welt aus Glas und Stahl, Hotels und Touristen an überfüllten Stränden. Was für ein Kontrast! Mir viel Glück fanden wir in einer Seitenstrasse einen Parkplatz für die Nacht und liessen uns mit den Menschenmassen über die Promenade am Meer treiben. Nach der besten Pizza ever zogen wir uns in unsere Stube zurück und erduldeten die Samstagnacht-Party. Es ist schon erstaunlich, wo wir überall schlafen können! 🙂 Nachdem wir den östlichsten Punkt Amerikas und den Beginn der Rodavia 230 (Transamazonica) besucht hatten, verliessen wir die Grossstadt und erholten uns ein paar Tage an einem langen Strand. Da das Wochenende vorbei war, blieben die Strandkneipen vor unserer Türe leer nur der Abfall wurde leider nicht abgeholt und verteilte sich mit dem Wind…
In den nachfolgenden Fischerdörfer nagte das Meer an der Küste, einige Gärten waren ihm schon zum Verhängnis geworden und auch Strassen und Häuser litten. Um nicht immer wieder Umwege über grössere Strassen im Landesinnere fahren zu müssen, hatte Felix ein paar kleinere Sandstrassen gefunden, die uns aber schlussendlich nirgends hinführten und am Rückweg verfuhren wir uns zwischen Zuckerrohrfeldern. Alles sah gleich aus und wir waren richtig froh, das Meer wieder zu finden! Also doch den Umweg nehmen… Am nächsten Tag fanden wir eine „Fähre“, die bereit war, uns über eine seichte Flussmündung zu bringen. Mir war während der kurzen Überfahrt nicht wohl, aber das Wasser war so niedrig, dass wir es vielleicht auch raus geschafft hätten, wenn wir vom Ponton gefallen wären… Der Fährmann stackste uns über das Wasser und entliess uns am gegenüberliegenden sandigen Ufer mit einem Armzeichen, wo wir die nächste „Strasse“ finden würden. Und nun? Entweder die Sandpiste dem Meer entlang (teils direkt auf dem Strand) nehmen, auf der uns Quads endgegenkamen oder doch wieder ins Landesinnere ausholen, um die Touristenorte Tibau do Sol und Praia da Pipa zu erreichen. Auf meine Bitte hin fuhren wir den Umweg und fanden südlich des Ortes auf einer grossen Klippe über dem Meer einen Platz für die Nacht, in Gesellschaft von Chilenen, Argentinier und Brasilianern in ihren Wohnmobilen. Eine steile Naturtreppe führte hinunter zum Strand auf dem man bei Ebbe bis in den Ort spazieren konnte. Hier endete übrigens auch die Piste, die ich zuvor abgelehnt hatte an einem Kontrollgebäude. Nur Quadfahrer über 18 Jahre in Begleitung eines Guides waren zugelassen. Nur soviel zur Sandpiste…
Die nächste Grossstadt Natal besichtigten wir vom Fahrzeug aus.:) 1535 versuchten Portugiesen, dieses Gebiet zu kolonialisieren, wurden aber von französischen Piraten daran gehindert. So bauten sie am 6. Januar 1598 das Fort der Heiligen Drei Könige (Forte dos Reis Magos) und ein knappes Jahr später, am 25.12.1599 die Stadt Natal (Weihnachten). Die günstige Lage rief 1633 die Holländer auf den Plan, welche Stadt und Fort eroberten und in Neu-Amsterdam umbenannten. 20 Jahre später fiel alles wieder an die Portugiesen zurück. Mir scheint, dass die Holländer in Südamerika nur kurzzeitig erfolgreich waren… Wir besuchten das fünfzackige Fort welches bis zu 14 Meter dicke Mauern hat und nördlich der Stadt an der Mündung des Rio Potengi erbaut wurde. Neben den skurrilen Drei Königen in der zentralen Kapelle wird hier auch das älteste portugiesische Monument aufbewahrt (oder evtl. Eine Replika davon?): ein Besitzmarkstein von 1501, der als Symbol der Entdeckung gilt.
Fürs Wochenende liessen wir uns auf einem Campingplatz mit Restaurant nieder. Das Meer war durch das vorgelagerte Riff zur Ebbe sehr ruhig, bei Flut reichte es bis an die Dünen-Treppe zum Campingplatzt heran. Im Restau-Club nebenan konnte man Schnorchelausflüge zum Riff buchen, aber als ich dies am Sonntag machen wollte, hatte das Restaurant geschlossen und alle Boote blieben verankert. Anscheinend haben die bunten Fische am Sonntag Besucher-frei! Da gönnte ich mir eben einen weiteren faulen Hängemattentag, während Felix arbeitete und nahmen am Montag wieder die Strasse unter die Räder. Da wir noch über eine Woche Zeit hatten, bis wir einen Arbeitskollegen von Felix nördlich von Fortaleza treffen wollten, machten wir einen Ausflug ins Landesinnere. Nach dem eher trockenen Küstenstreifen erstaunten uns die grünen Hügel und vielen kleinen Seen im Hinterland. Einige Ortschaften waren total auf Touristen ausgerichtet mit hübschen Pousadas (Hotels), Fussgängerzonen und Souvenirgeschäften. Für uns waren die Orte alle zu eng und wir fanden weder dort noch an den schmalen Überlandstrassen einen Platz für die Nacht. Die App iOverlander zeigte uns einen Campingplatz an, den wir in der Not auch anfuhren. Über zig Kurven und auf immer enger werdenden Strassen führte uns das Navi einen steilen Berg hoch. Um den letzten Steilhang zu schaffen, mussten wir sogar die Untersetzung einlegen und krochen langsam zum Campingplatz hoch. Zuoberst auf dem Hügel standen ein paar Gästehäuschen und WC. Der Mann der uns entgegentrat war sehr erstaunt und sagte, hier sei kein Campingplatz. Zum Glück durften wir die Nacht über bleiben, denn es die Sonne ging schon unter und diese heimtückische Strasse wollten wir nicht bei Dunkelheit befahren! Ich schaute mir den iOverlander-Eintrag nochmals an und bemerkte jetzt, dass er wohl vom Besitzer selber verfasst worden war und nicht von einem Overlander. Und der Besitzer hatte eindeutig hochgestapelt! Felix verfasste gleich einen neuen Eintrag um zukünftige Campingplatzsuchende auf die extrem steile Zufahrt aufmerksam zu machen. Aber keine Frage, die Aussicht von da oben war grandios und der Sonnenuntergang ebenfalls. Die Temperaturen waren in der Nacht erstaunlich tief, so dass sich Filou wieder einmal zu uns ins Bett kuschelte. Mir graute am nächsten Tag vor der Rückfahrt ins Tal, aber wie sagt man doch so schön? Runter geht’s immer! Nach zwei Tagen im Hinterland sehnten wir uns schon wieder nach Meer! 🙂
Eigentlich hatten wir gehofft, mitten in Fortaleza einen Parkplatz zum Übernachten zu finden, aber leider wurde in den letzten Jahren alles in blaue Zonen umgewandelt, wo man tagsüber nur 1 bis 2 Stunden stehen durfte. So fuhren wir zu einem schäbigen Campingplatz hinter Mauern im Stadtteil Praia do Futuro. Dem Strand entlang reihten sich die üblichen Strandkneipen und Beachclubs, wir wurden aber von der Besitzerin des Campingplatzes angewiesen, uns nur nach rechts zu wenden. Links sei die Gegend nicht sicher. Aber der Strand war wiedermal klasse und die Wellen unglaublich hoch. Morgens und abends tummelten sich die Wellenreiter im Meer, tagsüber die Kitesurfer und Schwimmer. Am Abend bestellten wir ein Uber ins Stadtzentrum. Wir wollten die Innenstadt besichtigen. Der Fahrer brachte uns schön brav zur Kathedrale und erklärte uns dort, dass hier nichts los sei, da Feiertag sei. Alles sei geschlossen. Und tatsächlich, die Mittags noch belebten Strassen waren Menschenleer. Die Sonne war schon untergegangen und wir wollten hier nicht im Dunkeln nicht alleine die Strassen laufen. Der Fahrer hätte uns gerne zum Ausgangspunkt zurückgebracht, willigte aber ein, uns zur Promenade Beira Mar zu bringen. Hier tauchten wir nun in die flanierenden Menschenmassen ein. Wir spazierten bei Vollmond 3 Kilometer der Promenade entlang am Meer, assen das seltsamste Sushi ever (mit Mayo :)) und bestellten ein weiteres Uber, das uns nach Hause brachte. Am nächsten Tag gelang unsere Stadtbesichtigung dann doch noch. Wo am Abend zuvor gähnende Leere herrschte, war nun ein Gewusel von Menschen. Wir quetschten uns durch die engen Einkaufsstrassen und die Markthalle, bestaunten das alte Theater und die Kathedrale. Das Fort wird heute als Parkplatz für die Polizei genutzt und kann nicht besichtigt werden. Wir machten uns auf zum Kulturzentrum Dragão do Mar, das wir ziemlich ausgestorben vorfanden. Anscheinend ist hier abends mehr los. Dragão do Mar war ein Jangadafischer (Segelfloss) der sich mit seinen Fischerkollegen gegen den Sklavenhandel auflehnte. Sie weigerten sich, die für Recife bestimmten Sklaven auf ihren Flossen zu den vor der Küste ankernden Schiffe zu bringen. Um auf das Elend der Sklaven aufmerksam zu machen segelte der Anführer Chico Matilda 3000 Km nach Rio de Janeiro (damals Hauptstadt von Brasilien). Obwohl der Kaiser ihn nicht empfing, gab seine abenteuerliche Reise der Befreiungsbewegung Auftrieb. Chico Matilda wurde fortan Dragão do Mar genannt, Meeresdrache. Drei Jahre später (1884) wurde im Bundesstaat Ceará, in dem Fortaleza liegt, die Sklaverei abgeschafft.
Vom Kulturzentrum liefen wir durch eine Einkaufsstrasse, die schon bessere Zeiten gesehen hat, hinunter zur Beira Mar und assen an der Promenade zu Mittag. Ich mag die Stadt. Ich mag die schicken Hochhäuser, die Promenade, die Strände und die flanierenden Menschen. Ich stellte mir vor, wie schön es wäre, jeden Morgen kaffeetrinkend auf dem Balkon zu sitzen und übers Meer zu schauen. Und abends mit einem Glas Wein in der Hand die zahlreichen Fussgänger und Fahrradfahrer zu beobachten. Leider müsste ich dies alles ohne Felix machen, er würde nie hier leben wollen.
Unser nächster Stopp war Cumbuco. Kaum hielten wir an einer Seitenstrasse zum Strand an, wurden wir auf Deutsch angesprochen. Ein Tscheche hatte sich hier mit seiner Familie niedergelassen und bot uns seine Hilfe an: Tips, Waschmaschine, Strom… So lieb!
Wir spazierten zum Strand und schauten fasziniert den Kitesurfern zu. Es war unglaublich, dass sich in diesem Gewusel keine zwei Kites verhedderten! Vielleicht war hier der Samen in meinem Kopf gepflanzt worden: Boah, Das will ich auch können! Aber der Samen brauchte noch etwas Zeit zum Wachsen. Derweil machten wir uns am Abend auf ins Zentrum des Ortes. Überall hörten wir Deutsch. Das war sehr neu für uns. Wir hatten in unserer Zeit in Brasilien nur einheimische Touristen getroffen und hier sassen wir plötzlich unter Europäern. Wir entdeckten sogar ein deutsches Restaurant, das „Exil“, das Currywurst und Schnitzel mit Bratkartoffeln anbot. Wir waren früh dran und fanden locker einen freien Tisch, aber eine halbe Stunde später waren alle besetzt und ein holländisches Ehepaar setzte sich zu uns an den Tisch. Wir waren im absoluten Kult-Restaurant von Cumbuco gelandet an „dem“ Kite-Spot der Deutschen, Holländern und Franzosen. Unser Tischnachbaren kommen jedes Jahr für drei Wochen her, zwei Wochen verbringen sie dann noch in der Dominikanischen Republik, immer am Kiten. Auch Marokko biete gute Strände dafür… Wir hatten einen vergnüglichen Abend mit den zweien, die im typisch holländischen Singsang Deutsch sprachen. Reich, aber sehr sympatisch, die zwei! 🙂
So, jetzt wussten wir es: Europäer fliegen in sieben Stunden von Lissabon nach Fortaleza um hier in Cumbuco den Wind einzufangen. Und der weht bis Ende Dezember garantiert!
Wir zogen weiter, rückte doch das Datum des Zusammentreffens mit Markus und Lea näher. Markus ist ein Arbeitskollege von Felix und Lea ist seine brasilianische Frau. Lea kommt jedes Jahr für einige Zeit nach Brasilien, um ihre Familie zu besuchen und sich um ihre über 90jährige Mutter zu kümmern. Später kommt Markus nach und sie geniessen einen Strand- und Windsurf-Urlaub zusammen. Markus hat erst vor vier Jahren Windsurfen gelernt und übt wie wild schwierige Wendungen in den hohen Wellen. Bei unserem Zusammentreffen in einem kleinen Fischerdorf überreichen uns die zwei bestellte Öl- und Dieselfilter. Jetzt sind wir wieder für die nächsten zwei Ölwechsel gerüstet… Wir geniessen ein paar nette Stunden zusammen, doch während Felix und ich noch in der Gegend bleiben, ziehen Markus und Lea weiter der Küste entlang. Mich hatte es nun gepackt: Ich wollte Kitesurfen lernen! Wir hatten unsere Basis auf einem Strandparkplatz in Flecheiras eingerichtet und fuhren täglich zur Kiteschule ins Nachbardorf. Die ersten drei Tage war ich am Strand oder im Meer nur mit dem Kite ohne Brett unterwegs. Ich sollte lernen, den Kite zu beherrschen. Nicht so einfach, wie gedacht! Zog ich mal zu stark an den Leinen, kam eine starke Gegenreaktion vom Drachen über mir und ich hob beinahe ab. Oder ich war zu inaktiv und setzte den Kite auf den Strand oder in die Wellen. Mir war nicht immer ganz wohl bei der Sache. Um ehrlich zu sein, hatte ich in manchen Situationen richtig schiss! 🙂 Mein Lehrer Maceo gab sich alle Mühe, mir die Handhabungen auf Englisch zu erklären aber manchmal fehlten für mich die Begründungen. Schrecklich war es, als wir immer noch ohne Brett nur mit dem Kite in der Luft durch die hohen Wellen ins Meer gingen. Ich habe bestimmt hundert Liter Meerwasser geschluckt bis ich hinter die Brandung kam. Dann hatte ich keinen Boden mehr unter den Füssen und einen eigensinnigen Drachen über mir… Am zweiten und dritten Tag war ich froh, als die zwei Unterrichtsstunden vorüber waren. Am vierten und fünften Tag brachte uns ein Strandbuggie zu einer Lagune, damit ich im hüfttiefen Wasser mit dem Brett üben konnte. Auch hier tummelten sich viele Kiter, Anfänger wie ich und solche, die neue Tricks lernten. Also war der See recht voll… Schwimmweste und Gurt waren angezogen, der Kite aufgeblasen und die Leinen richtig gespannt. Ab ins Wasser. Ich liess mir nichts anmerken, aber das war jetzt ganz schwierig für mich. Rund um die Lagune lebten haufenweise Esel. Denen war egal, wo sie gerade kackten und so war der Uferbereich nicht sehr „anmächelig“. Aber ich watete tapfer hindurch, nur um gleich darauf in Schlamm zu geraten. Meine Füsse leiden an einer Schlammphobie und ich kann nur nach oben glotzen, um meinen Kite zu kontrollieren! Wääääähhhh! Es läuft mir jetzt noch kalt den Rücken hinunter, wenn ich daran denke! Weiter draussen war der Seeboden dann meist Sandig mit ein paar stacheligen Pflanzen, aber das war für mich dann schon ok. Tja, und dann übte ich das Aufstehen. Und übte und übte und übte. Nach links und nach recht und dann wieder durch den See zurücklaufen in tieferes Wasser und nochmals. Ich hab’s einfach nicht auf die Reihe gekriegt! Und dann immer auch noch die anderen Anfänger im Augenwinkel! Am letzten Kurstag zeigte mir Maceo vor, wie ich es machen müsse und das war ganz anders, als er mir erklärt hatte! Ich machte es ihm nach und schon stand ich bestimmt 2 Sekunden auf dem Brett, bevor ich und der Kite ins Wasser platschten. Ach so, auf den muss ich ja auch aufpassen… 😉 Irgendwann gelang mit doch eine etwa 15 Meter lange Fahrt übers Wasser nach links. Rechts klappte es nicht so gut. Irgendwann fragte ich Maceo, was eigentlich für Zeit sei und meine Stunden waren schon um. Noch einmal, fragte er. Nö du, wir lassen das jetzt mal sein. Ich war erschöpft und wollte auf gar keinen Fall nochmals durch den See zurückwaten müssen. Fazit der Woche: Kitesurfen ist anstrengend und schwierig, vor allem für eine 60-jährige Matrone. Trotzdem habe ich inzwischen gegoogelt, wo man das in der Schweiz lernen kann. Ich denke, ich wage nochmals einen Versuch im nächsten Jahr. Aber zuvor muss ich was mit meinen Bauchmuskeln machen! 🙂
Nun war es höchste Zeit zum Weiterfahren! Wir besuchten Markus und Lea nochmals, die sich am windigsten Strand von Brasilien ein Haus gemietet hatten. Im Meer tummelten sich hauptsächlich Windsurfer, die mit tollen Stunts über die Wellen sprangen. Am frühen Morgen konnte man noch mit Filou spazieren gehen, danach war der Wind so stark, dass er einem die Sandkörner an die Beine fitzte. Filous Kopf ist für solche Zustände in einer ungünstigen Höhe angebracht. Erst nach 23 Uhr lies der Wind jeweils wieder nach.
Unser nächstes Ziel waren die Sanddünen des Nationalparks Lençóis Maranhenses (die Leintücher vom Bundesstaat Maranhão). Es gibt zwei Ausgangspunkte für eine Besichtigungstour, Barreirinhas und Santo Amaro. Der Trubel, den wir in Barreirinhas antrafen erschlug uns beinahe. Überall fuhren vollbeladene Toyotapickups mit laut johlenden inländischen Touristen durch die geschäftigen Strassen. Überall wurden uns Touren angeboten, nirgends fanden wir einen Parkplatz. Wir waren schlicht überfordert und fuhren weiter nach Santo Amaro. Wir hatten im iOverlander gesehen, wo man eine Bootstour buchen konnte, ich hätte aber lieber eine Jeeptour durch die Dünen gemacht. Leider gab es im Ortszentrum keine Touragenturen. Was es in Barreirinhas zu viel gab, gab es hier zu wenig. So buchten wir die Bootstour für den nächsten Morgen. Der Ausflug dauerte von 9-12 Uhr und war nicht ganz das, was wir erwartet hatten. Über den Knietiefen See wurden wir zu Dünen gefahren und marschierten mit Campingstühlen unter dem Arm zu einem der Seen. Hier stellte unser Guide den Sonnenschirm und die Stühle auf und verabschiedete sich für zwei Stunden. Öhhhm, wir hatten anscheinend kein Abenteuer sondern einen Badeausflug gebucht! Alles gut, aber wir hatten keine Badehose dabei! 🙂 Jänu, gingen wir eben in den Shorts baden. Und wir spazierten durch die Dünen und entdeckten immer neue Lagunen. Während der Regenzeit füllen sich die Dünentäler mit Wasser und es bilden sich wunderschöne Seen. Gegen Ende der Trockenzeit sind dann viele der Lagunen beinahe ausgetrocknet, aber einige haben noch genug Wasser zum Baden. Erstaunlich kühl war das Wasser unseres Sees und wir genossen den Ausflug trotz allem. Die Schönheit des Nationalparks haben wir auch ohne abenteuerliche Jeepfahrt erlebt.
Nach einer ausgiebigen Dusche auf dem Campingplatz, wo Womo und Filou zurückgeblieben waren, fuhren wir weiter nach São Luís, der einzigen von Franzosen gegründeten Stadt in Brasilien (1612). Zwei Jahre später wurden sie aber schon von den Portugiesen verjagt. Seit 1997 ist die Altstadt mit der höchsten Konzentration portugiesischer Kolonialarchitektur in Brasilien UNESCO Weltkulturerbe. Das Altstadtviertel Praia Grande wurde in den 1980er Jahre aufwändig saniert. Leider ist das schon ein bisschen her und viele der schönen Gebäude sind wieder am zerfallen. Nur die Häuser rund um den Platz bei der Kirche Igreja Matriz da Sé werden noch in Schuss gehalten. Nach drei Stunden haben wir genug gesehen und machen uns auf den Weg zu einem speziellen Restaurant. Hier befindet sich eine Ausbildungsstätte für angehende Köche und wochentags öffnet das Haus um Punkt 12 Uhr seine Türen und lädt zu einem vielfältigen Buffet ein. Dass Felix nicht ganz adäquat gekleidet ist stört hier (glaubs) niemand. Ich muss mich beim so leckeren Salatbuffet sehr zurückhalten. Sowas habe ich lange nicht mehr gesehen! Auch die warmen Speisen sehr lecker und originell. Poulet in Maracujasauce… Omeletten mit Dreikäsefüllung… Spinat mit Ingwer… und und und. Das Dessertbuffet war bescheidener, aber nicht weniger lecker. Vollgefressen liefen wir noch ein paar Schritte durch die Stadt und bestellten dann ein Uber, das uns zu unserem Womo auf dem Parkplatz des Havan-Geschäftes zurückbrachte. Wir machten uns gleich auf den Weg zur Fähre, die uns einen Umweg von über 200 Kilometer ersparen würde. In den drei Stunden, die wir dort standen und auf einen Platz warteten, hätten wir diese Kilometer locker gefahren! Erst bei Sonnenuntergang durften wir auf die Fähre und nach der 1,5 Stunden dauernden Überfahrt war es stockdunkel. Trotzdem mussten wir noch 10 Kilometer zu einer Tankstelle fahren, wo wir die Nacht verbringen konnten.
Sollte dies das letzte Mal gewesen sein, dass wir das brasilianische Meer sahen? Würden wir tatsächlich nie wieder über diese langen, langen feinsandigen Strände spazieren können? Wir sollten uns auf den Weg nach Belem machen und uns nach einem Amazonasschiff umsehen, dass uns mit nach Manaus nehmen würde. Wieder fanden wir Hilfe in der App iOverlander. Ein Reisender hatte ein Schiff angegeben mit einer Kontaktnummer. So konnten wir per WhatsApp nach Abfahrten und Preise fragen. Obwohl noch nicht alles hundert 100% gefixt war, machten wir einen Abstecher nach Salinopolis ans Meer. Doch noch! Wir fanden einen schönen Platz auf dem Strand und verhandelten weiter mit dem Agenten in Belem. Das erste Schiff nahm keine Hunde mit, der Lastwagentransporter würde schon am Freitag abfahren, aber mit der Rondonia können wir am kommenden Dienstag oder Mittwoch (10./11.12.) auslaufen. Wir freuen uns sehr auf diese 5-tägige Schifffahrt den Amazonas hoch und geniessen jetzt noch ein paar Tage den Strand. Der Himmel ist immer wolkenverhangen und es regnet immer mal wieder ein bisschen. Die Regenzeit hat begonnen.
Unglaublich, werdet ihr dann nicht Reisemüde? Herzlichen Dank für eure Berichterstattung mit den schönen Eindrücke in Text und Bild!
Ich wünsche euch 4 noch viele wunderschöne Erfahrungen, wobei Emma leider ab und zu Reisemüde scheint
Feliz Natal e um ótimo 2025
Liebe Grüsse
Jup
Lieber Jup
Leider habe ich deinen netten Kommentar erst jetzt gesehen! Vielen Dank, es freut uns sehr, wenn dir die Reiseberichte von Tina gefallen.
Es ist aber einer der letzten Berichte. Nachdem wir Venezuela besucht haben, sind wir jetzt in Kolumbien und auf dem Absprung nach der Schweiz. Emmas Schiff fährt voraussichtlich am 16. Februar und wir fliegen einige Tage später zurück in die Schweiz, wo wir für die nächsten paar Jahre wieder sesshaft werden.
Es würde uns freuen, dich und Helen wieder einmal zu treffen.
Liebe Grüsse
Felix, Tina und Filou